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1.2.2 Kreiskausalität und Stabilisierung durch dominierende Organisationsorientierungen

Durch rückgekoppelte Wechselwirkungen aller an der Organisation beteiligten Prozesse, insbesondere auch der Teilprozesse, entsteht eine ständige dynamische Weiterbewegung der gesamten Erfahrung und deren dauernde Neu- und Umorganisation. Im Zuge dieser rekursiven, selbstorganisierenden Dynamik können bestimmte Prozesse phasenweise mehr Gewicht gewinnen, denn Kreiskausalität impliziert kein ständiges Streben nach Gleichgewicht (vgl. Punkt 1.2). Bezüglich dem Modell eines solchen selbstorganisierenden Systems ist anzunehmen, daß unter all den möglichen Orientierungsrichtungen, welche die Dynamik entfalten könnte, durch die rekursive Organisation selbstverstärkende, typische Orientierungen entstehen, welche die Organisation abwechselnd dominieren und zumindest eine Zeitlang stabilisieren.

Die analytische Zerteilung des Modells von Erfahrung als einer rekursiven, zirkulären Organisation mittels verschiedener Kausalitäten wurde bereits eingeführt. Auch in der alltäglichen Erfahrung spielt die Vorstellung des Folgezusammenhangs von Ursache und Wirkung sowie von Möglichkeiten des aktiven Eingreifens eine wichtige Rolle. Ob ein Ereignis wie ein Verkehrsunfall vornehmlich erstens als Wirkung, in Form des Schocks von Beteiligten und der Faszination der Beobachtenden, zweitens anhand der Ursachen wie überhöhtem Fahrtempo oder einem plötzlich geplatzen Reifen oder drittens als möglicher Anlaß eines Staus oder der Verbesserung von Sicherheitsmaßnahmen wahrgenommen und eingeschätzt wird, hängt weniger von dem Ereignis selbst ab, als vielmehr von der Erfahrungsorientierung die jeweils bei dessen Beobachtung dominiert. Daher können zum Beispiel drei Freunde ihre ästhetische Erfahrung bezüglich dem gleichen Film nach völlig verschiedenen Kriterien beurteilen, weil während dem Zusehen bei jedem eine andere Erfahrungsorientierung dominant war. So konzentriert sich der erste nur auf seine Wahrnehmung und seine Gefühle, also die Wirkungen, die er mit dem Film verbindet. Der zweite Freund spürt die Harmonie oder Diskrepanz der Hauptdarsteller im Zusammenspiel und bemerkt Fehler in der Kameraführung, weil seine Orientierung auf die Ursachen, die Rahmenbedingungen, wegen derer der Film genauso wurde, gerichtet ist. Unter der Dominanz einer weiteren Orientierung, der des Filmenthusiasten, schaut sich der dritte Freund den Film an. Im gemeinsamen Gespäch zieht er Parallelen zur Qualität anderer Filme des Genres, schlägt Veränderungen vor und spekuliert über die Anstöße dieses Films auf nachfolgende Filme.

Drei typische Orientierungen, welche wenigstens eine Zeitlang deutliche Dominanz in der Erfahrung erlangen können und diese trotz weiterer Vielfalt im Detail in einer bestimmten Weise stabilisieren, sind somit unterscheidbar. Erstens ist die wirkungsbezogene Orientierung zu nennen, zweitens die ursachenbezogene Orientierung und drittens die folgebezogene Orientierung (vgl. Punkt 1.3). Diese typischen Orientierungen können durch längere und wiederholte Phasen der Stabilisierung die Richtung der gesamten Organisationsdynamik der Erfahrung sozusagen einfärben.

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