[3.3.2.1]
Zum Kriterium der »Direktheit«
bezüglich der somatischen Tendenz
Während einer Sightseeing-Tour in einer fremden Stadt ergreifen Touristen
häufig unmittelbar jede Gelegenheit, die sich zum kurzfristigen Hinsetzen und Ausruhen
des Körpers bietet. Darüber, ob sich ein Geländer, ein Stein, eine Treppe, ein
Brunnenrand usw. zum bequemen Sitzen eignet, wird nicht lange kognitioniert. Die
Anknüpfung scheint direkt möglich zu sein. Aufgrund solcher Beobachtungen entwickelte
James J. Gibson eine Theorie der »direkten Wahrnehmung«, die er in seinem Hauptwerk
»Die Wahrnehmung der visuellen Welt«, 1973, darlegte. Wie die konstuktivistische
Wahrnehmungstheorie lehnt auch Gibson Repräsentationsmodelle, von denen die
Kognitivisten ausgehen, ab. Seine Begründung hierfür basiert allerdings konträr zur
Annahme der Konstruktivisten, daß Wirklichkeit eine vom menschlichen Organismus
abhängige Konstruktion ist, auf der These, der Organismus sei im Lauf der Evolution für
die unmittelbare Aufnahme von Informationen aus der Umwelt optimiert worden.
Dieser Ansatz wurde für die vorliegende Untersuchung bereits verworfen (vgl. Kapitel 1.3).
Interessant bleibt die Beobachtung Gibsons, daß Menschen hinsichtlich der
somatischen Tendenz mit großer Direktheit Anschluß zu dem vorgefundenen
Reizmaterial herstellen können. Gibson beschreibt dies mit dem Begriff der Affordanz, des
Aufforderungscharakters eines Objekts. Zum Werfen werden Dinge genommen, die
greifbar sind, zum Anlehnen werden Dinge gesucht, die stabil sind, zum Streicheln
werden Dinge berührt, die haptisch reizvoll sind usw. Durch diese Beobachtungen
erlangte Gibsons Ansatz in der Designtheorie Bedeutung, denn er stellt die Wichtigkeit
der speziellen Beschaffenheit, des Designs von Dingen heraus. Was heißt es aber zu
sagen, daß ein Stuhl zum Sitzen, ein Türgriff zum Greifen, ein roter Knopf zum Drücken,
eine Treppe zum Hinaufgehen usw. je besser auffordert, desto direkter sein Design
wahrnehmbar ist? Design wird dann über eine instruktive Funktion definiert, die
dazu beiträgt, das selbstbestimmte Verhalten eines Individuums ähnlich dem
Reiz-Reaktions-Ansatz auszuklammern oder abzuwerten.
Trotz dieser Kritik an der designtheoretischen Adaption von Gibsons Ansatz, ist
Direktheit als eine Art unmittelbarer Anschließbarkeit in der Interaktion mit
Objekten der Umwelt bezüglich der somatischen Tendenz ein wichtiges Kriterum für das
sensitive Potential von Design. Dies gilt insbesondere in Situationen, die schnelles
Handeln erfordern und hinsichtlich allen Tätigkeiten, welche vom einzelnen nur
selten ausgeübt werden und für die deshalb keine körperliche Routine vorausgesetzt
werden kann. Die Art und Weise des entsprechenden sensitiven Potentials ist durch
möglichst eindeutig interpretierbare, direkte Aktivierungsmöglichkeiten zu charakterisieren,
um zu betonen, daß letztlich das Individuum handelnder Akteur bleibt und nicht
durch den Begriff des Aufforderungscharakters.
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