4.2.3 Polyvalente Struktur ästhetischer Erfahrung
und partizipatives Potential von Design
Ein soziales System mit polyvalenter Struktur ist offen für verschiedenste
Kommunikationsbeiträge. Der interne Kommunikationsfluß läßt sich weder als
Durchmischung wie hinsichtlich der integrativen Struktur, noch als regulative Optimierung wie
bezüglich der hierarchischen Struktur, sondern als flexible, interdependente Vernetzung
charakterisieren. Ein sozialer Akteur kann sich im Prinzip parallel an verschiedenen
Entwicklungslinien beteiligen. Durch die Interdependenz der unterschiedlichen
Kommunikationsverzweigungen und Knotenbildungen entsteht eine aktiv mitgestaltbare,
jedoch nicht vollständig planbare Dynamik.
Obwohl die polyvalente Stuktur jedermann zur Beteiligung an der
Kommunikation offen steht, gelingt es den passiven Akteuren selten, effektive Beiträge
einzubringen. Durch die im Vergleich zu den anderen Strukturtypen schnellen Veränderung
ihrer Ausrichtungen, können nur ständig aktiv an der Kommunikation beteiligte soziale
Akteure jeweils adäquate und die Kommunikationsdynamik beeinflussende Beiträge
liefern. Hinsichtlich der Orientierung an der polyvalenten Struktur sind also
diejenigen Menschen, die ihre kommunikativen Beiträge lange vorbereiten oder auf eine
langfristige Beziehung zu anderen sozialen Akteuren bezüglich dieser Struktur setzen,
eher benachteiligt. Dagegen bietet die polyvalente Struktur agilen Menschen, die
dem Leben nicht einfach seinen Lauf lassen wollen oder sich von den Vorgaben einer
hierarchischen Struktur erdrückt fühlen, die Möglichkeit, ihre kommunikative
Dimension von Erfahrung auszuleben und zu entfalten.
Beispielsweise könnte das universitäre Bildungssystem durch eine stärkere
Verlagerung von der Orientierung an der hierarchischen auf die polyvalente Struktur
profitieren, wogegen die integrative Struktur hier kein geeignetes Modell darstellt, weil
sie nur zu einer oberflächlichen Durchmischung der Wissenbereiche führen würde.
Viele Bildungsbereiche müssen sich ständig in der lebendigen Anwendung bewähren
und häufig klafft eine breite Lücke zwischen dem Wissen, das bezüglich einer
hierarchisch strukturierten Disziplin hochspezifisch
ausselektiert wurde und den ständig
verändernden, weniger spezifisches Wissen erfordernden praktischen Bereichen. Ein Student,
der seine Fachkompetenz strikt an den Anforderungen zur Beteiligung an der
hierarchischen Struktur seiner Disziplin entwickelt, indem er eine universitäre Laufbahn
anstrebt, steht mit der diesbezüglich verengten kommunikativen
Erfahrungsselektion völlig im Abseits, wenn er aus irgendwelchen Gründen an der weiteren Beteiligung
an dem zugehörigen sozialen System ausgeschlossen wird. Dagegen hätte ein Student in
einem universitären System mit polyvalenter Struktur die Möglichkeit, je nach
Fähigkeiten, Interessen oder momentaner Aktualität, diejenigen Disziplinen gezielt
kombiniert auszuwählen, in die er sich einarbeiten und an deren Kommunikationsfluß
er sich beteiligen will. Indem jeder Kommunikationsbereich der polyvalenten
Struktur eine lebendige Dynamik entwickelt, wäre nur ein aktiver Student in der Lage
mitzuhalten. Durch diese produktive Dynamik der Kommunikationsbeiträge bezüglich
der polyvalenten Struktur bleibt ein bloß oberflächlicher Dilettantismus ebenso auf
der Strecke wie die elementare Grundlagenforschung. Da diese weiter wichtig bleibt
und eine kompetente Beteiligung im Sinne tiefen Fachwissens erfordert, müßte das
Bildungssystem für die sozialen Akteure Übergänge zwischen der Orientierung an
einer polyvalenten und an einer hierarchischen Struktur enthalten.
Positiv bezüglich der polyvalenten Struktur ist die Möglichkeit, daß sich
Menschen gemäß ihren verschiedensten Interessen kommunikativ beteiligen können und
ohne sich nach festen Zielvorgaben richten zu müssen, aus der Dynamik der Struktur
heraus jeweils neue relevante Perspektiven entfalten können. Negativ ist zu werten, daß
die polyvalente Struktur dem Individuum im Vergleich zu den anderen Strukturen
zwar mehr Wahlmöglichkeiten und Freiheit, jedoch auch geringere Sicherheit und
weniger dauerhafte Solidarität bietet. Menschen müssen den eigenverantwortlichen
Umgang mit der polyvalenten Struktur erst lernen. Anders als bezüglich der Orientierung
an der hierarchischen Struktur, die beispielsweise die marktstrategische Konzeption
von Produkten hinsichtlich ihrer Eignung als niveauadäquate Statussymbole verlangt,
geht es hinsichtlich der polyvalenten Struktur darum, Wahlmöglichkeiten zwischen
verschiedenen aber gleichwertigen Produktkategorien anzubieten. Mobilität wird
zum Beispiel nicht mit der Frage nach dem repräsentativen Status des
Fortbewegungsmittels, als vielmehr mit der momentanen Entscheidungsgrundlage für eines der
alternativen Angebote wie Bahn, Auto, Fahrrad, Fußwege usw. verknüpft.
Die bevorzugte Orientierung an der polyvalenten Struktur und schlägt sich in
der kommunikativen Dimension von Erfahrung als Bedürfnis nach aktiver Mitwirkung
nieder. Durch Design zu schaffende, entsprechende Angebote sollten dieses
Mitwirkungsbedürfnis fördern. Die hierfür geeignete potentielle Spezifik von Design wird im
folgenden als partizipatives Potential von Design bezeichnet.
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