[6.3.3]
Beispiele für die emanzipative Perspektivität von Design
Die Idee der Universalisierung als einer fortschrittsbezogenen Erfahrungsselektion,
an der, mit Hinblick auf die integrative Struktur und das kollektive Potential von Design
möglichst alle Menschen teilhaben sollten, verliert zunehmend an Faszination. Denn es ist
fraglich geworden, ob die Universalisierung einer auf Fortschritt ausgerichteten
Erfahrungsselektion für alle Menschen den Weg in eine positive Zukunft weisen kann. Viele
Menschen bevorzugen die initiative Option und deren Umsetzung durch die Strategie der
Diversifizierung und die emanzipative Perspektivität von Design. Auch im Bereich der
Wissenschaft weicht die Vorstellung eines Erkenntnisprozesses, der einem optimalen Stand zustrebt,
zunehmend dem Bild eines vieldimensionalen Raumes, in dem mehrere
Entwicklungsrichtungen für Erkenntnisprozesse möglich sind. Ebenso wird die an einem tradierten
Selektionsprozeß orientierte Fortführung von Erkenntnissen nicht mehr ausnahmslos positiv
beurteilt, sondern in bezug auf den Anwendungskontext bewertet. Der Aufwand zu Forschungen
für die Nutzung von Atomenergie, die in der Tradition der modernen Wissenschaft steht,
lähmte die Hinwendung zu alternativen initiativen Optionen wie der Solarenergie, der
Windkraft oder der Erdwärme. Die letzten Optimierungen in der Schreibmaschinenindustrie sind
rückblickend als Fehlentwicklungen zu werten. Es wurde nicht rechtzeitig erkannt, daß der
Computer die Funktion der Schreibmaschine viel besser als diese erfüllen kann.
Im Hinblick auf die Erfahrungsselektion einer von der hierarchischen Struktur
bestimmten Gesellschaft kann die Strategie der Diversifizierung zur Verhärtung der Hierarchien
eingesetzt werden, wenn die emanzipative Perspektivität von Design nur Menschen auf
höheren Ebenen der sozialen Hierarchie erreicht. So wird ein Großteil anspruchsvoller
Zeitschriften oder kultureller Angebote wie Theater, Museen, Kleinkunst von Menschen mit höherer
Schulbildung genutzt. Es bildet sich ein Insiderkreis, der durch Diskussionen, künstlerische
und wissenschaftliche Produktion zur Diversifizierung der Erfahrungsselektion beiträgt.
Dadurch vergrößert sich der intellektuelle Abstand zu Außenstehenden. Diese haben, selbst wenn
Angebote im Sinne der emanzipativen Perspektivität von Design zur Verfügung stehen,
selten genügend Freizeit, um sich in einen Themenbereich einzuarbeiten. Daher können sie an
gesellschaftlich relevanten Entscheidungsprozessen, die von dem Insiderkreis initiiert
werden, kaum kompetent mitwirken.
Wird die soziale Erfahrungsselektion schwerpunktmäßig von der polyvalenten
Struktur und dem partizipativen Potential von Design bestimmt, so kann die emanzipative
Perspektivität zu deren Diversifizierung beitragen. Mit der Enscheidung für die Gestaltung der
Zukunft im Sinne der initiative Option ist der Abschied von der Annahne fundamentaler
Wahrheiten verbunden. Denn zu einer prinzipiell demokratischen Grundeinstellung gehört
das Bewußtsein um die schwierige Bestimmbarkeit fundamentaler Wahrheiten, die zudem
davon abhängt, wer sie als solche definiert. Das Bemühen, allgemein verbindliche Wahrheiten
zu finden, bildet traditionell einen Schwerpunkt der Philosphie. In der sozialen
Lebenspraxis entscheidet jedoch selten die philosophische Argumentation darüber, was als
Wahrheit gelten soll, sondern die Mächtigeren. In Umkehrung des Bacon'schen Diktums »Wissen
ist Macht«, geben diejenigen, welche die Macht haben vor, was Wissen ist. Dies zu
verhindern ist ein Anliegen der initiativen Option, welches in die emanzipative Perspektivität von Design
einfließt. Daher wird die soziokulturelle Erfahrungsselektion als wandelbarer,
vieldimensionaler, konstruktiver Prozeß konzipiert. In diesem Sinne hat die »scientific community«
die Aufgabe, einzelne Verzweigungen der Selektionsprozesse transparent darzulegen und
vielen Menschen den Zugang zu ermöglichen, damit sie selber aktiv daran teilnehmen
können und nicht zu Spielbällen von Machtinteressen werden.
Ein Weg, dem der poyvalenten Struktur entsprechenden partizipativen Potential
von Design durch die emanzipative Perspektivität von Design eine langfristige Ausrichtung
zu geben, besteht darin, ästhetische Elemente aus ihrem traditionellen
Bedeutungszusammenhang der Vergangenheit zu lösen und in aktuelle Kontexte zu stellen. Dadurch werden
die Nutzer dazu angeregt, neue Bedeutungen zu entwickeln oder etwas über die
traditionelle Bedeutung zu erfahren, für die sie sich andernfalls nie interessiert hätten. Der
Filmregiesseur Peter Greenaway fügt in seinenen Filmen, ästhetische Elemente aus dem persönlichen
und dem kulturellen Gedächtnis zu einer neuen Komposition zusammen. Der
Kommunikationsdesigner Neville Brody bezieht Elemente der Bauhaustypografie in seine Konzeptionen
ein. Im Industriedesign entwarf Alessandro Mendini eine Türklinke, indem er den älteren
Entwurf von Gropius mit einem neuen Material verband. Er nannte diesen Entwurf
»Hommage an Gropius« und brachte Gropius dadurch wieder ins Bewußtsein. DJ's verbinden
Evergreens mit aktuellsten Rhythmen.
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