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[6.3.4]
Beispiele für die emanzipative Perspektivität von Design

Die Reichweite der Wirksamkeit von medienbezogener Limitation ist von der Art des Mediums abhängig. Bereits durch die kleine Veränderung eines Mediums kann dessen begrenzende Wirkung auf die Erfahrungskreation ein Stück weit geöffnet werden. Dies zeigt die Entwicklungsgeschichte des Telefons von einem Medium mit zunächst in der Anwendung kontextueller Logik zu einem Medium, das sich zunehmend in ein Medium mit vorwiegend organischer Logik wandelt. So waren die ersten Telefonapparate meist im Flur fest an der Wand befestigt, sodaß Telefonate an einem eher unfreundlich Ort in der Wohnung und im Stehen geführt wurden, was neben der Beachtung der Kosten sicher auch zu einem knapp gehalteten Wortwechsel in Anpassung an das Medium Telefon beitrug. Im Sinne des situativen Potentials von Design wurden Standapparate gestaltet, die es mit einigen Metern Zusatzkabel ermöglichten, eine bequeme Stellung beim Telefonieren einzunehmen und in Ruhe sowie sprachlicher Ausführlichkeit zu telefonieren. Der Markterfolg von schnurlosen Telefonen und Handys zeigt, daß Menschen die Limitation, die ihnen durch ortsgebundene Telefonapparate auferlegt ist, durchbrechen wollen. In Zukunft wird das Telefonieren wahrscheinlich mittels eines kleinen Gerätes, das als Kombination von Ohr- und Halsschmuck zu tragen ist, erfolgen können und zum Medium mit organischer Logik mutieren, das außer den Gebühren von der technischen Seite her nur eine schwache Limitation für die Erfahrungskreation vorgibt. Eine stärkere Limitation bleibt durch das Medien-Schema, das ein Mensch mit dem Telefonieren verbindet, bestehen. Zahlreiche Forschungen zur Telekommunikation belegen, daß sich viele Menschen wegen fehlendem Blickkontakt zum Gesprächspartner bei Telefonaten verunsichert fühlen oder sich besser mit zusätzlichem Einsatz von Körpersprache und Redepausen ausdrücken können, als durch die auf verbale Kommunikation reduzierte Telefonsprache. Ihnen könnte in Zukunft das Bildtelefon zur Öffnung ihres negativ besetzten Telefon-Medien-Schemas verhelfen.

Das Dorfleben ist mit einer kontextuellen Logik verbunden, die es für Menschen ohne Auto erschwert, ihre Einkäufe zu erledigen, denn die örtlichen Tante-Emma-Läden sind meist nicht mehr rentabel zu betreiben. An dieser Problemstellung kann das situative Potential von Design mit Ausrichtung auf die emanzipative Perspektive ansetzten. Ein Pilotprojekt, das diese Limitation öffnen könnte, besteht bereits. Es läuft seit 1999 in einem Dorf in der Lüneburger Heide. Dort wurde ein Online-Laden eingerichtet, der ein kleines Sortiment an Waren bereithält und mit einem Großmarkt in der nächsten Stadt kooperiert. Die Kunden können die Ware entweder direkt in dem Laden einkaufen, falls diese noch vorrätig ist und zum Sortiment gehört, oder sie können ihre Einkaufswünsche in ein Computer-Terminal eingeben. Dieses sendet die Daten an den Großmarkt, von wo aus die Waren sortiert, in Rechnung gestellt und an den Kunden transportiert werden. Letzteres übernehmen die Angestellten im Wechsel und bringen die Ware auf dem Heimweg nach Ladenschluß zum Kunden.

Wie auf der Grundlage von Medien mit standardisierter Logik das zugehörige innovative Potential in Hinsicht auf die emanzipative Perspektivität von Design umgesetzt werden kann, demonstrierte der Finne Linus Torvalds. Er programmierte das Betriebssystem Linux und legte den Quellcode 1991 offen, worauf ihm viele Programmierer folgten. Das alle Computernutzer ein Betriebbsystem benötigen und von wenigen Anbietern abhängig sind, war die Offenlegung des Quellcodes eine Anregung zur Emanzipation. Daß Torvalds 1999 die Goldene Nica für Computerkunst erhielt, die im Rahmen des Linzer Kunstfestival ars electronica vergeben wird (vgl. Die Zeit, Nr. 37 1999, S. 39), zeigt das Zusammenwachsen Wissenschaft und Kunst. Dieses Zeichen der Jury trägt dazu bei, Design von einem tradierten und reduzierten Kunstverständnis und der Diskussion um die Unterschiede von Design und Kunst oder die Beziehung zu industrieller Warenproduktion zu lösen. Dadurch wird die emanzipative Perspektivität von Design auf die Disziplin Design selbst angewendet.

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