4.1.3 Kausalität nach oben durch den Hauptprozeß der Selektion
Die typischen Akzentuierungen schlagen sich wiederum in dem wesentlichen Einfluß der sozial bedingten Komponente auf die
Gesamterfahrung nieder. Je nachdem, welcher sozialen Struktur die Mehrheit einer Gesellschaft anhängt und hinsichtlich derer sich die
Menschen wechselseitig in ihren Vorstellungen bestätigen und bestärken, erfährt auch der Hautprozeß eine entsprechende Akzentuierung.
Wie die Herleitung der typischen sozialen Organisationsstrukturen zeigt, kann nicht jede persönliche Erfahrung in die sozial geteilte und
durch Kommunikation weiterentwickelbare Erfahrung eingehen. Daher ist der Hauptprozeß der sozialen Komponente als Selektion von
Erfahrung charakterisierbar. Dominiert die Akzentuierung der sozialen Dimension von Erfahrung durch die integrative Struktur, so ist der
Selektionsfilter durchlässig und bei Dominanz der hierarchischen Struktur engmaschig angelegt. Die polyvalente Struktur läßt verschiedene
Selektionsfilter nebeneinander zu. Zudem ist der Unterschied zwischen der von außen beobachtbaren Einbindung eines Menschen in eine
soziale Struktur von seiner persönlichen Orientierung an einer sozialen Struktur zu beachten. Auch bezüglich dem Hauptprozeß der sozialen
Komponente ästhetischer Erfahrung, der Selektion, kann die persönliche Wahrnehmung von sozialen Strukturen der an einem sozialen
System Beteiligten stärkere Bedeutung gewinnen, als eine von außen registrierte Struktur.
Die drei vorgestellten Strukturtypen sind als modellhafte Beschreibungen für die Erfahrung der kommunikativen mitmenschlichen
Beziehungen zu verstehen, nicht als Abbildung einer solcherart existenten sozialen Realität. Weitere Strukturtypen oder Mischungen und
Überschneidungen der dargestellten Strukturtypen sind denkbar. Trotzdem eignet sich der eine oder andere Strukturtyp besser zur Analyse
dieses oder jenen sozialen Systems und den durch die Orientierung an der Struktur des System bedingten, in die kommunikativen
Beziehungen im Zusammenleben zurückwirkenden Einflüsse. Bei der Verstärkung eines vorhandenen Strukturtyps, der Implementierung
einer Struktur in ein bestehendes System oder der Neuentwicklung einer Struktur zusammen mit einem sozialen System ist zu beachten,
daß die Orientierung an jedem Strukturtyp bestimmte Vor- und Nachteile als Grundbedingungen vorgibt. Deshalb ist es vorteilhafter, wenn
nicht allein die Akzentuierung durch nur einen Strukturtyp das gesamte soziale Leben oder den Hauptprozeß der sozialen Komponente
dominiert. Wegen der Möglichkeiten durch die Kategorie der sozial bedingten Potentialität von Design an der Modifizierung der
Strukturtypen mitzuwirken, sollten auch Designer analysieren, welcher Typ positiv mit einem sozialen System und dem zugehörigen
Kommunikationsbereich zusammenpaßt (vgl. Kapitel 6.3.2). Beispielsweise kann die Architektur und weitere Ausgestaltung von
Parlamentsgebäuden den primären Strukturtyp, den die Politiker eines Land nach innen sowie nach außen präsentieren wollen,
symbolisieren (vgl. Beyme, 1998).
Die Demokratie als staatliche Organisationsstruktur ist je nach Gewichtung unterschiedlich interpretierbar. Prinzipiell weist sie aber
Ähnlichkeiten sowohl mit der integrativen, als auch mit der polyvalenten Struktur auf und kann, obwohl sie den Gegensatz zu autoritäten
Staatsformen bildet, auf soziale Systeme mit hierarchischer Struktur nicht völlig verzichten. Ihr besonderer Vorteil gegenüber anderen
Staatsformen liegt genau darin, daß sie als ein lockerer Zusammenschluß aller sozialen Systeme deren strukturelle Verschiedenheit
ermöglicht und dadurch verhindert kann, daß ein einziger Stukturtyp in den Köpfen der Menschen zu stark veankert wird oder ein einziges
soziales System dominiert. Dieses Konzept zur Kategorie der Potentialität von Design in Korrespondenz zu sozial bedingten Akzentuierung
von ästhetischer Erfahrung durch Organisationsstrukturen, geht demgemäß davon aus, daß die dynamische Bezogenheit unterschiedlicher
Strukturen nicht durch eine optimale Ordnung zu fixieren ist. Individuen sollten ihrer Erfahrungsgeschichte und ihrer bevorzugten
Akzentuierung gemäß die soziale, kommunikative Dimension von Erfahrung durch die Orientierung an verschiedenen Strukturtypen
ausleben können (vgl. Punkt 4.3.1.2). Kein Strukturtyp sollte totale Übermacht für die Akzentuierung der kommuniativen Erfahrung und die
Selektion als Hauptprozeß der sozialen Komponente innerhalb der Wechselwirkung aller Komponenten gewinnen. Deshalb kann an dieser
Stelle nur ein Vorschlag für die sinnvolle Gewichtung und Anpassung der Strukturtypen bezüglich sozialen Systemen vorgelegt werden.
Hinsichtlich der Orientierung an der polyvalenten Struktur sind Sprünge zwischen verschiedenen Systemen am einfachsten und die
Vorhersage und gestalterische Antizipation allgemeiner sozialer Tendenzen am schwierigsten. Zur ästhetischen Erfahrung eines gelingenden
Lebens gehört jedoch für die Mehrzahl der Menschen eine gewisse Sicherheit bezüglich der Gestaltung ihrer Lebensperspektive,
beispielsweise durch die Berufswahl oder Familiengründung. Daher ist die polyvalente Struktur als grundlegende Hauptstruktur innerhalb
der Bezogenheit sozialer Strukturen eher ungeeignet. Neben der hierarchischen Struktur als Grundstruktur könnten anders strukturierte
Systeme auf Dauer nicht gleichwertig bestehen. Am geeignetsten für eine soziale Basis wäre demnach die intergrative Struktur. Sie sollte
das Gelingen des sozialen Miteinanders garantieren und besonders im Alltagsleben gepflegt werden. Hierzu gehört die
Organisationsstruktur von Bürgerkontakten auf Ämtern, von Kundenservice im Handel, von Patientenberatung im Medizinbereich usw.
Beispielsweise müßten Schulen durchgängig geöffnet sein und mitmenschliche Begegnungen zwischen Schülern und Lehrern außerhalb des
Unterrichts ermöglichen, gerade weil die Beibehaltung von Frontalunterricht und die Orientierung an einer hierarchischen Struktur in
einigen Wissensgebieten sinnvoll ist und das Lernen erleichtern sowie in der Weiterbildung zur Effizienz des Lernens beitragen kann. Eine
hierarchische Struktur sollten Sicherheitsorganisationen wie beispielsweise Zivilschutz oder Feuerwehr aufweisen, da diese im Notfall die
größte Stabilität und Funktionalität der sozialen Koordination gewährleistet. In allen Fällen, in denen es wichtig ist, daß jeder genau seinen
zugeteilten Bereich ausfüllt und keine Zeit bleibt über Zuständigkeiten oder verschiedene Lösungswege zu diskutieren, ist die hierarchische
Struktur von Vorteil. Systeme mit hierarchischer Strukturen wären dann als eine Art Schutzpyramide vorstellbar und Bestandteil der
sozialen Basissysteme mit integrativer Struktur. Die polyvalente Struktur könnte für diejenigen sozialen Systeme stehen, die sich um
spezifische Kommunikationsthemen organisieren und alternative Wege entfalten wie bezüglich Wissenschaft, Sport oder Kunst. Systeme mit
polyvalenter Struktur organisieren sich um experimentelle Themeninhalte und sind daher mit dem Risiko des Scheiterns behaftet. Deshalb
sollten auch diese als Teilsysteme der sozialen Basis mit einer integrativen Struktur konzipiert werden, denn die vom Zerfall eines System
betroffenen Individuen können dann von der Basis aufgefangen werden.
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